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Gastro-Expedition ins Baltikum


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igentlich mögen es die Bewohner Estlands, Lettlands und Litauens gar nicht gerne, wenn ihre Länder unter „Baltikum“ zusammengefasst werden. Denn tatsächlich sind Sprache, Kultur und über weite Teile auch die historische Entwicklung der drei Staaten höchst unterschiedlich. Während sich z. B. die Esten als Skandinavier sehen, fühlt man sich im katholischen Litauen eher mit Polen verbunden.

Dennoch gibt es aber vieles, was die drei jungen Ostseerepubliken verbindet: Allem voran die nationale Bewegung der „Singenden Revolution“, mit der man 1991 die Unabhängigkeit und Befreiung aus der Sowjetunion erlangt hat. Ein Faible für die neuesten Informationstechnologien – Skype ist eine estnische Erfindung – vereint die Balten ebenso wie ihre intensive Verwurzelung im alten Brauchtum, die beispielsweise in mehreren Millionen (!) traditionellen Volksliedern erlebbar wird.

Gemeinsam ist den drei baltischen Staaten auch der rasante wirtschaftliche Aufschwung nach der Öffnung, unterbrochen von einem steilen Absturz in den Krisenjahren 2008 – 2011. Die volkswirtschaftlichen Parameter zeigen nach einem radikalen Sparprogramm mittlerweile wieder deutlich nach oben, es gibt aber dennoch Verlierer – allen voran in den ländlichen Regionen. Verwaiste Dörfer und eine stark schrumpfende Gesamtbevölkerung (Lettland 1990: 2,66 Mio., 2016: 1,96 Mio.) sind deutliche Indizien. Zu dieser Entwicklung dürfte auch das gespannte Verhältnis zum großen Nachbarn im Osten beitragen.

 

Die Entwicklung in der Gastronomie war in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit von internationalen Restaurantkonzepten geprägt. US-Amerikanische Burger-Lokale, Steakhäuser und Sushi-Restaurants decken bis heute die Lust auf exotische Speisen ab. Doch nach und nach begann eine Generation von jungen, engagierten Köchen – viele von ihnen mit internationaler Erfahrung – sich auf die eigenen kulinarischen Wurzeln zu besinnen. Gewisse Parallelen mit der „New Nordic Cuisine“ sind durch die geographische Nähe ebenso nachvollziehbar wie skandinavische Einflüsse in der Innenarchitektur.

Der „Schwarze Balsam von Riga“ genießt Kult-Status

Neben Fisch finden in der baltischen Küche Sauerampfer und Rote Rüben ebenso eine Rolle wie Rhabarber und eine Vielzahl genießbarer Pilze und Beeren. Die Gewinnung von Birkensaft, dem eine regenerierende Wirkung für den gesamten Organismus zugesprochen wird, mutiert jedes Frühjahr speziell in den Wäldern Lettlands zu einem richtigen Volkssport. In vergorenem Zustand entsteht säuerlich-sprudelnder Birken-Sekt, auf den die Letten ebenso stolz sind wie auf ihren aus Rhabarber gewonnenen Wein. Und der „Schwarze Balsam von Riga“, ein seit Jahrhunderten produzierter Kräuterlikör, genießt ohnehin Kult-Status.

Bierkultur wird in den baltischen Ländern auf hohem Niveau gepflegt. Dabei kommen Freunde klassischer Biere ebenso auf ihre Rechnung wie die Fans von kreativem Craft-Beer. Auch das Angebot an Weinen braucht – speziell in den Wein-Bars und Top-Restaurants – keinen internationalen Vergleich zu scheuen.

Dem langen, harten Winter ist es zuzuschreiben, dass Einkaufszentren als Orte der Freizeitgestaltung im Baltikum eine große Rolle Spielen. Der integrierte Eislaufplatz im Akropolis in Vilnius, auf dem auch Eishockey-Spiele ausgetragen werden können, erinnert an die gigantischen Malls in Kanada. Entsprechend groß ist in den Einkaufs- und Freizeittempeln auch das gastronomische Angebot. Der Mix aus Cafés, diversen Fastfood-Läden und unterschiedlichen Ethno-Restaurants ist überwiegend auf die Bedürfnisse der einheimischen Gäste zugeschnitten.

 

Ein kurzer Streifzug durch die drei baltischen Hauptstädte.

Tallin

Estlands Hauptstadt ist eine quirlige Metropole mit skandinavischem Flair. Mittelalter und Moderne scheinen in der hanseatischen Hafen- und Handelsstadt zu verschmelzen. Speziell in den Sommermonaten wird der wunderschöne mittelalterliche Stadtkern von trinkfreudigen Finnen und Kreuzfahrschiff-Passagieren regelrecht gestürmt.

Die sprichwörtliche nordische Gelassenheit ist auch den Service-Mitarbeitern in der Gastronomie gegeben. „Ein österreichischer Kellner würde locker zwei estnische Kollegen ersetzen“ bringt es ein international erfahrener Restaurantleiter auf den Punkt. Als Konsequenz daraus setzten – ähnlich wie in Helsinki – viele Gastrokonzepte auf Selbstbedienung.

Typische estnische Hausmannskost wird im Restaurant Kuldse Notsu Körts in der Altstadt kredenzt. Mit 19 SB-Restaurants ist Lido die größte Gastronomiekette Lettlands. Das Bäckerei-Café Rukis überzeugt mit frischem Gebäck aus der offenen Backstube sowie originellem Design-Konzept. Asiatische Küche auf höchstem Niveau bietet das Restaurant Chedi.  

Riga

Mit nahezu 1 Mio. Einwohnern ist die lettische Hauptstadt die einzige wirkliche Großstadt des Baltikums. Neben der stimmungsvollen Altstadt mit ihren winkeligen Gassen stellen die Jugendstilviertel ein einzigartiges architektonisches Juwel dar. Auch das Gastro-Angebot von Riga kann sich sehen lassen, insbesondere die Vielzahl von Restaurants, in denen auf Top-Niveau gekocht wird. Der Zentralmarkt (in den einstigen Zeppelinhangars untergebracht) ist – insbesondere wegen seines exotischen, vom Aal bis zum berühmten Neunauge reichenden Fischangebotes – einen Besuch wert.

Im Rozengrals, dem ältesten Restaurant Rigas (1293 erstmals urkundlich erwähnt) wird den Gästen eine authentisch Zeitreise in das Mittelalter geboten. Im Balzambars, der besten Cocktail-Adresse Lettlands, werden einzigartige Kreationen mit dem „Black Balzam“ kredenzt. Das Restaurant Niklavs ist bekannt für seine moderne Interpretation traditioneller lettischer Gerichte – als Speisenbegleiter gibt’s Rhabarberwein. Als bestes Slow Food-Adresse der Stadt gilt das Restaurant Vincents. Das Hotel Pullman Old Town mit dem Restaurant Equus befindet sich im ehemaligen Pferdestall des Barons Münchhausen.

Vilnius

Prachtvolle Barockbauten, Bürger- und Kaufmannshäuser und nicht weniger als 42 (!) Kirchen prägen das architektonische Erscheinungsbild von Litauens Hauptstadt. In der Altstadt herrscht reges Leben, eine Vielzahl von Gastgärten lädt zum Verweilen.  Wegen ihres südeuropäischen Charakters wird Vilnius auch „Rom des Nordens“ genannt.

Im EKZ Akropolis – dem größten Einkaufstempel Litauens – verschmelzen Shopping und Freizeit. Originelles Design und konsequente Ausrichtung auf das Hauptprodukt sind Charakteristika der Gastro-Kette Can Can Pizza. Mit drei Standorten ist das gehobene Asia-Restaurant Gan Bei City in Litauen präsent. In der Brew Bar wird das Brühen von Kaffee hingebungsvoll inszeniert – ein echtes Kontrastprogramm zum schnellen Espresso.